Der Spessart ist ein Mittelgebirge im westlichen Mitteleuropa. Der Specht hat dem Spessart (Spesshart, im Nibelungenlied Spechteshart, "Spechtswald") seinen Namen gegeben. Noch heute dient der Schwarzspecht (Dryocopus martius) als Symboltier der Region.
Der Spessart gehört zu den derzeit 93 Naturparks in Deutschland. Er bildet das größte zusammenhängende Mischlaubwaldgebiet in Deutschland. Seine äußersten Verzweigungen erstrecken sich bis Hanau, Schlüchtern und dem Sinntal. Er erstreckt sich über 2440 km² Fläche, davon gehören zu Bayern 1.710 km², zu Hessen 730 km².
Der geschichtliche und reale Hintergrund des Grimmschen Märchens von Schneewittchen wird ebenfalls im Spessart angesiedelt.
Der Spessart wird im Süden durch das Mainviereck und im Norden durch die Mainnebenflüsse Kinzig (Mündung bei Hanau) und Sinn (Mündung bei Gemünden) eingefasst. Das Mainviereck bezeichnet den südlichen Teil des Spessart mit den vier Eckpunkten Lohr, Wertheim, Miltenberg und Aschaffenburg. Der Spessart erscheint als waldiges Massengebirge mit abgerundeten Kuppen, die sich nur wenig über die Gesamthöhe erheben.
Der Hauptrücken zieht sich von Miltenberg im Süden 75 km lang nach Norden bis zur Gegend von Schlüchtern. Auf dieser Wasserscheide zieht sich vom Engelberg über den Geiersberg, bis zum Orber Reisig auf einer Länge von 111 km der uralte Eselsweg (ähnlich dem Rennsteig im Thüringer Wald).
Die Höhe der Gipfellagen liegen zwischen 450 m und knapp 600 m. Die höchste Erhebung ist der in der Nähe von Rohrbrunn gelegene 586 m hohe Geiersberg (auch Breitsol genannt).
Die bedeutendsten unter den zahlreichen Bächen des Spessart sind die Jossa, Lohr, Hafenlohr, Elsava, Aschaff, Bieber und Kahl.
Die Hauptmasse des Spessart besteht aus Granit, Gneis und Glimmerschiefer mit aufgelagertem roten und gefleckten Sandstein sowie Buntsandstein. Geologisch gesehen ist der Spessart ein recht junges Gebirge. Das Grundgebirge bildete vor 500 bis 700 Millionen Jahren kristallines Gestein, das im nordwestlichen Spessart zu Tage tritt. Das Kommen und Gehen von Meeren hinterließ bis vor 200 Millionen Jahren Ablagerungen, die heute das bis zu 400 m mächtige Deckgebirge aus Buntsandstein bilden. Umwelteinflüsse und Erosion gaben dem Spessart sein heutiges Aussehen mit Plateau und tief eingeschnittenen Tälern. Die Ton- und Lehmschichten verhindern ein schnelles Versickern des Wassers und machen den Spessart zu einem quellenreichen Mittelgebirge. Während im Innern nährstoffarmer Boden vorherrscht sind an den Randlagen zum Main hin die Böden ertragreicher.
Der Main trennt den Spessart im Osten von der Fränkische Platte und im Süden vom Odenwald. Der Spessart wird im Norden durch die Kinzig vom Vogelsberg und im Nordosten durch die Sinn von der Rhön geschieden.
Der äußere Saum längs des Mains, namentlich im Westen, wird als Vorspessart bezeichnet. Das innere, aus dicht zusammenschließenden Bergen bestehende Waldgebirge, welches keine breite Bergebene aufweist, heißt Hochspessart. Die plateauartige Absenkung zur Kinzig und nach Kahl am Main ist der Hinterspessart. Der Hinterspessart umfasst auch das sogenannte Orber Reisig, mehrere mit Eichengebüsch bedeckte Anhöhen, die sich bis zur Stadt Bad Orb erstrecken.
Im Spessart herrscht Mittelgebirgsklima gemäßigten ozeanischen Typs mit angenehmen Sommern und nicht zu kalten Wintern. Dank der Bodenvegetation wird ein rasches Verdunsten der Niederschläge verhindert, so dass auch an heißen Tagen wohltuende Frische herrscht. Die staubfreie, sehr sauerstoffreiche Luft hat sich als außerordentlich heilwirksam erwiesen.
60 Prozent des Gebietes sind bewaldet, im Zentrum besitzt der Spessart eine nahezu 40 000 Hektar große geschlossene Waldfläche. Die unteren Abhänge sind besiedelt oder landwirtschaftlich genutzt, auf den Höhen bedecken vor allem im Süd- und Hochspessart prachtvolle Eichen- und Buchenwälder das Land. Im Nordspessart überwiegt eine Nadelholzbestockung. Stieleichen, Kiefern und Birken finden sich in den sandigen Niederungen. An Bachläufen und Feuchtgebieten begegnen uns vornehmlich die Erle, Linde und Esche sowie der Ahorn. Besonders hervorzuheben sind die weltweit geschätzten Spessart–Funiereichen.
Innerhalb einer artenreichen Blumenwelt nehmen wilde Orchideen (Knabenkräuter), Akelei und Silberdistel eine besondere Stellung ein. Überall findet man den gelbblühenden Besenginster und Heidekraut. Groß ist der Reichtum an Waldbeeren (Brombeeren, Himbeeren, Heidelbeeren) und Pilzen.
In dem einstigen kurmainzischen Jagdrevier sind Hirsche, Rehe und Wildschweine noch immer stark vertreten. Häufig kommen kleinere Raubvögel (Habicht, Sperber und Bussard) sowie Spechte vor. Neuerdings wird auch der Waschbär - zuerst zu Anfang des 20. Jahrhunderts im Vogelsberg-Gebiet ausgesetzt - im Spessart heimisch. Aber auch Luchse, Wildkatzen und Bieber sind durch erfolgreiche Auswilderungsprogramme im Nord- und Zentralspessart wieder anzutreffen. In den Bächen und Flüssen wird Forellenzucht betrieben und mancherorts findet man auch Flusskrebse, Bachneunaugen und die seltengewordene Flussperlmuschel.
Die Bewohner des Spessart sind Franken, die nach ihrem Vordringen vom Rhein nach Osten mit den hier ursprünglich ansässigen Alemannen verschmolzen. Eingewanderte Slawen gingen vollständig im fränkischen Volksstamm auf.
Der Spessart hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Die frühesten Spuren menschlicher Besiedlung reichen bis in die Bronzezeit (ca. 1800 bis 750 v. Chr.) zurück. Am Südrand des Spessart sind Ansiedlungen aus der Halsstatt-Zeit (ca. 750 bis 450 v. Chr.) und durch eindringende Kelten aus der La-Tène-Zeit (ca. 450 bis 50 v. Chr.) nachzuweisen.
Zwischen etwa 80 bis 260 n. Chr. ist der Westen des Spessart Grenzland des Römischen Imperiums (Obergermanisch-Rätische Limes). In dieser Zeit entstanden am Main strategisch wichtige Kastelle (u.a. in Miltenberg, Obernburg, Hanau etc.). Im 3. Jahrhundert drangen Burgunder und vom 5. Jahrhundert an aus dem Süden zurückströmende Alemannen ein, zu deren Gründungen Aschaffenburg, Gemünden und Lohr zu rechnen sind. Die Alemannen wurden ab dem 6. Jahrhundert von den aus Westen eindringenden Franken aufgesogen. Von dieser Entwicklung blieb der eigentliche Spessart unberührt, ein undurchdringliches Waldgebiet ohne Besiedlung. Unter dem Frankenkönig Karl dem Großen (747 bis 814, Kaiser seit dem 25. Dezember 800) wurde der Spessart königlicher Bannwald, war somit nur zur Jagd vorgesehen.
Mit dem Einzug des Christentums kam das Waldland in den Besitz von Klöstern und Stiften wie den Benediktinerabteien Neustadt am Main, Seligenstadt und Amorbach sowie der Augustinerprobstei Triefenstein, die als vorgeschobene Bastionen der kirchlichen Zentren Mainz und Würzburg kulturelle und wirtschaftliche Aufbauarbeit leisteten. Kaiser Otto II. (Ende 955 bis 07. Dezember 983, König seit 961, Mitkaiser seit 967) schenkte dem Mainzer Erzbischof Willigis weite Teile des Spessart. In der Folge waren über Jahrhunderte die Mainzer Erzbischöfe die wichtigsten Landesherren im Spessart. Auch unter ihnen blieb der Kern des Spessart weiterhin kaiserlicher Bannforst. Erst ab dem 12. und 13. Jahrhundert duldeten sie eine kontrollierte Besiedlung des Spessart.
Der Spessart wurde immer von außen regiert. So wurde er beherrscht durch das Erzbistum Mainz, das Hochstift Würzburg sowie einiger anderen Grafengeschlechtern (z. B. Hessen-Kassel, Hanau, Rieneck-Nostiz, Löwenstein-Wertheim, Schönborn, Erbach etc.). Eine eigenständige Entwicklung nahm die Freie Reichsstadt Gelnhausen. Die politische Zersplitterung des Spessart hatte bis zum Vorabend bedeutender Territorialveränderungen im Gefolge der Kriege gegen das revolutionäre bzw. napoleonische Frankreich (1792 bis 1813 / 1815) und der damit einhergehenden Säkularisation von geistlichen Besitztümern (1803) sowie der Mediatisierung (1803 bis 1806) bestand.
Des weiteren begünstigte diese politische Zersplitterung ohne grenzübergreifende Strafverfolgung das Aufkommen von Räuberbanden, die spätestens seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts urkundlich belegt sind. In der Umbruchzeit um den Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1801 bis 1806) erlebte das Räuber(un-)wesen im Spessart sowie im restlichen Deutschland einen letzten Höhepunkt. Nach Neuordnung der Territorien bis 1815 (Wiener Kongress 1814 / 1815) und mit wirksameren Verwaltungen (z. T. nach französischem Vorbild) wurde das Räuberproblem in kürzester Zeit bereinigt.
Im Zuge des 1. Koalitionskrieges wurde Mainz im Jahr 1792 durch französische Revolutionstruppen besetzt. Das Kurfürstentum Mainz hörte damit faktisch auf zu existieren. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 und den darauf folgenden territorialen Flurbereinigungen (Säkularisation und Mediatisierung) endeten das Kurfürstentum Mainz und das Hochstift Würzburg endgültig. Ein Großteil des Spessart kam infolgedessen zum neugegründeten Fürstentum Aschaffenburg unter Karl Theodor von Dahlberg. Ab dem 16. Februar 1810 wurde dann das Fürstentum Aschaffenburg gemeinsam mit anderen Territorien zum Großherzogtum Frankfurt unter Karl Theodor von Dahlberg zusammengeschlossen. Nach Ende der Napoleonischen Kriege (1813 / 1815) und der Auflösung der Zentralverwaltung für das Großherzogtum Frankfurt am 26. Juni 1814 fällt Aschaffenburg und Umgebung im Rahmen der Verhandlungen des Wiener Kongresses an das Königreich Bayern. Der ehemalige Zehnt Somborn, Besitz der Grafen von Hanau und schon früher dem Landgrafen von Hessen-Kassel zugefallen, blieb hessisch und gelangte 1866 in den Besitz Preußens.
Aber auch heute noch ist der Spessart aufgeteilt in vier Landkreise in zwei Bundesländern. Bayern: Aschaffenburg, Miltenberg und Main-Spessart. Hessen: Main-Kinzig-Kreis.
Der Spessart verfügte neben einer wenig ertragreichen Landwirtschaft über Ressourcen wie Holz, Wasserkraft, Salz, Erze und Mineralien. Diese Faktoren bildeten die Grundlage für Köhler, Töpfer, Eisenhämmern und Bergwerke. 1795 kaufte Georg Ludwig Rexroth den Höllenhammer im Elsavatal und produzierte Eisenartikel für Landwirtschaft und Handwerk. Nach dem Umzug nach Lohr entwickelte sich daraus ein Weltunternehmen für Hydraulik, welches in der heutigen Bosch Rexroth AG aufgegangen ist.
Die Glasprodukte und Spiegel aus Spessarter Glashütten wurden europaweit vertrieben. Noch heute ist in Lohr eine Glashütte in Betrieb (Produkte der Glasindustrie sind u.a. im Spessartmuseum in Lohr ausgestellt).
Der Spessart war durchzogen von vielfältigen Handelswegen, aus denen die Landesherren Zolleinnahmen erzielten. Die vielen Kirchen und Klöster, Burgen und Schlösser bezeugen durchaus prosperierende Zeiten.
Die berühmt berüchtigten Frammersbacher Fuhrleute zogen von hier aus durch ganz Europa. Mit der Ausbreitung der Eisenbahn und der Verbesserung der Flussschifffahrt seit Mitte des 19. Jahrhunderts ging jedoch die Zunft der Fuhrleute wirtschaftlich nieder.
Über die Jahrhunderte war der Spessart auch unterschiedlich stark bewaldet. Bereits mit der Salzgewinnung und dem damit verbunden Siedevorgang (Verdampfung der Sohle durch Befeuerung) sowie durch das Betreiben der zahlreichen Eisenhämmer und der aufblühenden Glasindustrie im 18. und 19. Jahrhundert und dem hiermit einhergehenden hohen Holzkohleverbrauch nahmen die bewaldeten Flächen außerordentlich schnell ab. Aus diesem Grund wurde seit dem 18. Jahrhundert eine systematische Wiederaufforstung betrieben. Mit dem Niedergang der Eisen- und Glasindustrie Ende des 19. Jahrhunderts und dem Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzung der unteren und mittleren Hänge seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat der Wald weite Teile des Spessart wieder zurückerobert.
Mit der industriellen Revolution ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gerieten die meisten Mittelgebirge wirtschaftlich ins Hintertreffen. Verbesserte und billigere Transportwege erlaubten den Absatz billigerer Waren aus den großen Zentren in die entlegensten Winkel. Der Spessart verarmte. Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren der Spessart nebst der Rhön und dem Bayerischen Wald die Armenküchen Bayerns.
Der Dreiklang Wald, Armut und Spessarträuber ist im Bewusstsein der Menschen haften geblieben, obwohl das nur eine kurze Phase im Auf und Ab der Entwicklung darstellte.
Im Spessart hatte das Märchen schon immer eine Heimat. Weniger die Schreiblust der Erzähler war daran schuld, sondern vor allem die Spessartbauern, die in ihren Dörfern keinen Reichtum kannten und die sich deshalb Gestalten ihrer Phantasie in die kargen Stuben holten, wenn die Abende lang waren und die Wald- und Feldarbeit keinen Einsatz mehr erforderte. Das triste Leben der Bauern wandelte sich in den Erzählungen zu glücklicher Daseinsfreude.
Die spannenden Geschichten von Räubern, Fuhrknechten und Postreitern waren keine erfundenen Berichte, sondern wahre Begebenheiten, die gerne, vielfach mit interessanten Details ausgeschmückt, in den Schenken und Poststuben erzählt worden sind. Doch der Nachwelt sind die Räuber und ihre (Un-)Taten nur aus den Romanen bzw. Märchen der Literaten bekannt geblieben.
"In des Waldes düstern Gründen, in den Höhlen tief versteckt . . ." Christian August Vulpius, Goethes nicht zu Unrecht vergessener Schwager, schrieb 1798 die erfolgreichste Räuberschnulze seiner Zeit, den »Rinaldo Rinaldini«. Als 1803 Johannes Bückler (alias Schinderhannes) in Mainz das Fallbeil traf, blühte in den deutschen Lesestuben eine fröhliche Räuberromantik. Schiller war ihr unfreiwilliger Vater. Mit seinem Karl Moor aus dem Schauspiel »Die Räuber« von 1781 kam kein Räuberhauptmann vorbei, der beim Publikum etwas werden wollte. Wilhelm Hauff hielt sich mit dem Märchen »Das Wirtshaus im Spessart« von 1826 gleichfalls daran. Jener "schöne, stattlich gekleidete Mann von etwa sechsunddreißig Jahren", der kurz nach Mitternacht das einsame Wirtshaus im Spessart betritt, um die Gräfin zu rauben, ist uns sogleich sympathisch. Er hat Manieren, er entschuldigt sich: "Sehen Sie in mir keinen gemeinen Dieb, keinen Kehlabschneider. Ich bin ein unglücklicher Mann, den widrige Verhältnisse zu diesem Leben zwangen." Brav gesprochen, Mann, so liebt das Volk seine Räuber! Dreck am Stecken, aber edel im Gemüt. Wilhelm Hauff ist der Erfinder des schönsten und besten Räuberhauptmanns: "Ich fand einen gar wundersamen Wald, eine Schenke so recht zum Verweilen und Träumen, und in den Erzählungen der Reisegefährten geisterten wilde verwegene Gesellen, die mich neugierig machten und schreckten." Als der junge Dichter 1826 den Spessart bereiste, war es mit der Räuberei schon längst vorbei. Doch seit Hauff weiß jedes Kind Bescheid:
Spessartwald = Räuberwald.
Obgleich die Wahrheit verblasst vor der Kunst. Die echten Räuber verstanden sich wohl nicht aufs Lesen und wussten gar nicht, was das war: Räuberromantik. Ein elendes Leben und ein elender Tod.
Die alten Straßen, die im Mittelalter einst wichtige Verkehrswege waren, sind heute bedeutungslos.
Der Spessart - wie auch die angrenzenden Regionen Odenwald, Wetterau, Büdinger Wald, Vogelsberg und Rhön - war bei den Reisenden im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert gefürchtet. Wer damals auf den schlecht bestellten Straßen in Kutschen, auf Fuhrwerken oder zu Fuß unterwegs war, den trieb weniger die Reiselust als vielmehr wirtschaftliche oder berufliche Notwendigkeiten. Kaufleute aus Nürnberg oder Schweinfurt beispielsweise brachten ihr Handelsgut auf die Frühjahrs- und Herbstmesse nach Frankfurt und kehrten mit Rohstoffen und Spezereien zurück, Handwerksburschen auf der Walz suchten neue Meister, Kuriere überbrachten zu Pferd Depeschen, die Thurn und Taxisschen Postkutschen fuhren die Poststationen an, Hausierer und Hausiererinnen zogen durch das Land und boten in den Dörfern ihre Waren feil. Kurzum: Es herrschte reger Verkehr auf den zahlreichen Handelswegen und Heerstraßen und ihren Auf- und Abfahrten im Spessart: Zu nennen wären hier die Birkenhainer Straße (Hanau-Gemünden), der Eselsweg (Schlüchtern-Rohrbrunn-Miltenberg), die Kauffahrteistraße (Wirtheim-Wiesen-Lohr), die Lohrer Straße (Aschaffenburg-Rothenbuch-Lohr) oder die Alte Poststraße (Nürnberg-Würzburg-Aschaffenburg-Frankfurt), später auch Spessarter Chaussee genannt. Die Bewegung von Waren, Geld und betuchten Leuten durch den »Wald ohne Anfang und Ende« lockte aber auch eine Menge lichtscheues »Gesindel« an. Die Angst vor der Durchquerung dieser als gefährlich bekannten Landschaft spiegelt sich in jenem legendären Stoßgebet eines Nürnberger Kaufmanns (um 1800) wider, das heute noch gerne kolportiert wird:
"Lieber Gott, du hast mir aus dem Mutterleib geholfen, du wirst mir auch über den Spessart helfen!"
Die Alte Poststraße
Die Alte Poststraße, später auch Spessarter Chaussee genannt, ist in ihrer ursprünglichen Form noch erhalten und erzählt die Geschichten von Postreitern, Pferdeknechten, reitenden Boten und fahrenden Posten. Die Straße führt mitten durch den Spessart, war die kürzeste Verbindung zwischen Frankfurt und Würzburg und deshalb als Postroute geeignet.
Die Straße, einst ein beschwerlicher Weg, entstand am Beginn des 17. Jahrhunderts.
Als die Straße einigermaßen in Ordnung war, übernahmen kaiserliche Postreiter den Kurierdienst. Es waren mutige Kerle, die sich nicht darum scherten, wer hinter ihnen her war. Sie mussten sich mit dem Gesindel der Straße herumschlagen, aber sich kapitulierten nicht. Die Postroute von Frankfurt nach Aschaffenburg und von hier aus über Rohrbrunn, ab 1790 auch über Hessenthal (heute Ortsteil von Mespelbrunn), wo sich jeweils eine Pferdewechselstation befand, bis nach Würzburg und Nürnberg blieb bestehen.
Die Birkenhainer Straße
Sie zieht vom Frankfurter Raum aus hinauf zur Wasserscheide zwischen Kinzig und Kahl, klettert von Flörsbach und Lohrhaupten zum alten Zollhaus „Bayerische Schanz“ und windet sich von der Hermannskoppe kurvenreich hinunter nach Gemünden. Einst hieß diese Straße “Via exercitalis“; es war eine Reichs-, Herr-, und Königsstraße und sie diente den Herren und den Knechten. Auf ihr zogen die Kurfürsten von Mainz und die Grafen von Hanau in ihre Jagdreviere. Aber auch Kaufleute, die den Umweg über die Maintalstraße scheuten, wagten sich – meist mit Geleit – auf die alte Handelsstraße, um von Frankfurt und Hanau aus bis nach Gemünden an den Main und weiter bis nach Würzburg und Nürnberg zu kommen.
Der Eselsweg
Am Greifsberg, unweit der bayerisch-hessischen Grenze, kreuzt ein anderer berühmter Spessartweg die Birkenhainer Straße. Es ist der Eselsweg - die Straße des weißen Goldes. Der Eselsweg nimmt bei Schlüchtern im Kinzigtal seinen Anfang und führt bis nach Miltenberg. Als “Via asinina“ ist dieser Weg in die Geschichte eingegangen. Die Esel, die auf diesem Weg das Salz der Saline Orb nach den südlichen kurmainzischen Orten brachten, verhalfen der Straße zu ihrem Namen. Die Straße berührt besonders schöne Waldgebiete, streift Rothenbuch und Weibersbrunn, kreuzt bei “Echterspfahl“ die Straße Aschaffenurg-Lohr, schlängelt sich durch den Rohrbrunner Forst hinunter nach Schollbrunn und erreicht bei Miltenberg den Main. Der Weg führt in einer Höhe von 400 bis 500 Metern fast ausschließlich durch dichten Laubwald und erstreckt sich 111 km. Der Eselsweg hatte weder als Heer- noch als Geleitzugstraße große Bedeutung. Auf ihm marschierten keine Soldaten; er lag außerhalb der Reiserouten der Kaufleute, die zur Frankfurter Messe wollten. Wer aus dem Kinzigtal, vom Vogelsberg oder von der Rhön nach Süden wollte, bevorzugte andere Strecken, die weniger gefährlich waren und nicht so weitabgeschieden in der Landschaft lagen.
So blieb der Eselsweg vor allem denjenigen vorbehalten, die Mut genug besaßen, die einsamen Straßen zu benutzen. Das waren die Frammersbacher Fuhrleute, die den Güterverkehr (vor allem Salz und Glasprodukte) von Nord nach Süd besorgten und die auch mit den verwegensten Gesellen handelseinig wurden. Ein Fuhrmann machte nicht viel Umstände, wenn ihm ein Hindernis in den Weg gelegt wurde. Seine Hand war gefürchtet. Das wussten die Wegelagerer und all das andere Gesindel, welches die Straße als Freiland betrachtete.
Man legte sich ungern mit den “Hauderen“ – wie die Fuhrleute genannt wurden – an, man ließ sie ziehen. Ihnen verdankt der Eselsweg seine Legenden und den kleinen Ruhm, der die Jahrhunderte überdauert hat.
Auf der oberen Bergstraße zwischen Laudenbach und Hemsbach wird in der Nacht zum 1. Mai 1811 eine Kutsche angehalten und geplündert. Sechs Räuber verstellen ihr den Weg, werfen den Kutscher vom Bock und zerren die Reisenden aus den Polstern, zwei Schweizer Kaufleute, die von der Frankfurter Ostermesse kommen. Leichtes Spiel, keine Gegenwehr, und Trotzdem: Ein Räuber verliert die Nerven.
Jacob Rieder aus Winterthur, 45 Jahre alt, Vater sechs Kinder, wird barbarisch niedergeknüppelt. Er bleibt mit mehrfachem Schädelbruch bewusstlos auf dem Waldweg liegen. Nachdem die Tat entdeckt ist, bringt man ihn eilig in das Heidelberger Hospital, wo er vier Tage später stirbt. Die Empörung ist groß. Die hessischen und badischen Behörden eröffnen wütend das Kesseltreiben gegen die Räuberbande, die nur wenig Spuren hinterlassen hat: Eine Feuerstelle, einen weggeworfenen Knüppel, blutbeschmiert, ein Kopftuch mit den Initialen des Opfers.
Aber es gab nicht den geringsten Zweifel, wo man die Mordgesellen zu suchen hatte. Tatverdächtig waren, wie immer, alle heimatlosen Vagabunden, die unnütz durch die Dörfer im Odenwald und Spessart zogen. Eben die Trödler, Gaukler, Zigeuner, Maulwurffänger, Spieler, Quacksalber, Bettler und Diebe, das Lumpengesindel der Straße, dem nun die Stunde der endlichen Ausrottung vorbestimmt war.
Der Kriminalfall Rieder kam der Obrigkeit somit nicht ungelegen. Ein willkommener Anlass die letzte große Räuberjagd “an beiden Ufern des Mains, im Spessart und im Odenwalde“ ins Leben zu rufen. Razzien, Untersuchungen, Prozesse und Schafott waren die unweigerliche Konsequenz.
Das böse Vorurteil bestätigte sich bald. Unter den ersten Herumtreibern, die vor den "peinlichen Richter" in Darmstadt geschleppt wurden, war ein gewisser Valentin Schmitt. Argwöhnische Bauern hatten ihn auf dem Weg nach Aschaffenburg festgehalten. Verraten hatte er sich dadurch, dass er sein Bündel wegschmiss und ausreißen wollte. Da dachten die Bauern gleich: “Der hat was zu verbergen.“ Valentin Schmitt gab sich später als der steckbrieflich gesuchte Veit Krämer zu erkennen.
In Heidelberg, wohin er zum weiteren Verhör überstellt wurde, gestand er seine Beteiligung an dem Raubüberfall und nannte die Namen von Komplizen. Bald hatte man gegen hundert Landstreicher arretiert, schuldig oder nicht. Es war damals nicht leicht ihre Identität festzustellen, sprich ihre Herkunft oder ihre Namen zu erfahren; denn sie kannten sich auch untereinander oft nur bei ihren Spitznamen. Der Heidelberger Stadtdirektor Dr. Pfister, der sich schon während der Untersuchung beeilte, ein Buch mit dem Titel "Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden ..." zu veröffentlichen, klagte zum Beispiel: "Bei Leuten dieser Art, welche keine bleibende Stätte haben, täglich in anderen Hütten oder Schopfen oder im Freien hausen, fällt es sehr schwer, irgendeinen Beweis über ihre Familienverhältnisse aufzubringen."
Man hatte mittlerweile Peter Petry (alias Schwarzer Peter) gefangen genommen, der noch ein Genosse des Johannes Bückler (alias Schinderhannes) war, und man hatte die Orthweis entlarvt, die zu dieser Zeit die Spitzin genannt wurde und Beischläferin des Georg Philipp Lang (alias Hölzerlips) war. Gegen die Spitzin lag ein Todesurteil vor, gefällt vom Kaiserlich Französischen Gericht überm Rhein. Auch den Hölzerlips hatte man inzwischen erwischt. Er war kein ungebildeter Kopf, von großer Leibesstärke, grausam, boshaft und jähzornig und zudem ein Haupträuber. Zu den Haupträubern wurden auch Philipp Friedrich Schütz (alias Manne-Friedrich), Andreas Petry (alias Köhler Andres) und Sebastian Lutz (alias Basti) gerechnet. Sie alle waren beim Raubüberfall in der Nacht zum 1. Mai 1811 dabei gewesen. Der Basti hatte sich bis Wertheim durchgeschlagen, als er aufgegriffen wurde. Auch er wurde wie die anderen zu Heidelberg in Ketten gelegt. Er unternahm noch einen verzweifelten Versuch, die Freiheit wiederzugewinnen, dem Scharfrichter davonzulaufen. Es gelang ihm die Ketten zu lösen uns sich aus der Zelle abzuseilen. Nur im bloßem Hemd gekleidet, begab er sich auf die Flucht. Vor den Bauern, die er anbettelte, spielte er den Schwachsinnigen, um seinen Aufzug zu erklären. Jedoch vergeblich. In Fürth im Odenwald wurde er erneut festgenommen.
Die Folter war in jenen Tagen bereits abgeschafft. Geständnisse durften nicht mehr gewaltsam erpresst werden. Jedoch war es legal einen Gefangenen eng und enger zu schließen. Das hieß, die Häftlinge wurden bei karger Kost in engen, zugig-kalten und feuchten Löchern mitunter über Jahre weggesperrt. Aber stärkste Belastung im Gefängnisalltag brachten weiterhin die Verhöre. Noch im 19. Jahrhundert konnten die Inquirenten (Leitende eines Verhörs / Untersuchung) die Daumenschrauben zur Wahrheitsfindung anordnen. Der Heidelberger Stadtdirektor Dr. Pfister verfolgte mit seinem Früh-Werk den Zweck, "das Publikum von der Verfahrensweise dieser Räuber zu unterrichten, die noch freien Glieder der Bande kenntlich zu machen, dadurch ihre Beifangung zu erleichtern und so die öffentliche Sicherheit zu vermehren". Über die Haftbedingungen sagte er nichts und so kann man nur erahnen, warum Stephan Heusner (alias Langbeiniger Steffen) und einige andere sich im Gefängnis erhängten.
Resultat des Raubüberfalls in der Nacht zum 1. Mai 1811 und der darauf einsetzenden Räuberjagd war u.a., dass vier Räuber zum Tode verurteilt und am 31. Juli 1812 in Heidelberg enthauptet werden. Dem Hölzerlips hatte man zwei Morde und 152 Fälle von Raub und Straßenraub zur Last gelegt. Zusammen mit dem Hölzerlips verlieren Manne-Friedrich, Mathes Oesterlein (alias Krämer-Mathes) und Veit Krämer den Kopf. Die beiden Komplizen, Basti und Köhlers Andres wurden wegen ihres jugendlichen Alters vom Großherzog Karl von Baden (1786 bis 1818) in letzter Minute am 31. Juli 1812 begnadigt.
Als die Räuberjagd zu Ende ging, sah man klarer. Eine große, organisierte Räuberbande gab es nicht, weder im Vogelsberg noch im Spessart oder im Odenwald. Auch keinen Räuberhauptmann weit und breit. Man hatte es mit einem verlorenen Häuflein streunender Galgenvögel zu tun. Es waren entweder zugewanderte Strolche oder "auch eigene Landesunterthanen, Bewohner der nächsten Orte", die als Mitwisser, Diebe, Hehler in Erscheinung traten. Viele Pläne wurden nicht gemacht. Die Räuber bildeten wechselnde Gruppen. Sie stahlen dem Wirt die Zinnkrüge, dem Bauern das Dörrfleisch, dem Fuhrmann die Ware. Kein Gedanke an Mord. Doch sie waren abgebrüht und roh, und in der Aufregung unterlief ihnen schon mal ein Totschlag.
In den deutschen Staaten lebten in der Zeit um 1800 zwischen 10 und 15 Prozent der Bevölkerung ohne festen Wohnsitz. Es waren zumeist Hausierer, Schausteller, Deserteure, Krüppel, Tagelöhner, Arbeitslose, Zigeuner, Gauner. In der starren Gesellschaftsordnung ihrer Zeit, in der nur der Adel weitgehende Recht besaß, hatten sie keine Chance, nach oben zu kommen. Unten auf der Straße aber war man schnell durch die zahllosen Kriege, Seuchen und Epidemien, die vorhergegangen waren. Eine ganze Armee von Entwurzelten, Entrechteten und Heimatlosen zog damals über die deutschen Landstraßen. Waren sie aber erst einmal auf der Straße, hatten sie kaum eine Möglichkeit, zu einem normalen bürgerlichen Leben zurückzukehren, weil ihnen das Heimatrecht von den Gemeinden verwehrt wurde. So bildeten sich einzelne Banden, die durch Diebereien versuchten, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu bestreiten.
Aus der wilden Zeit Napoleons liegen die ausführlichsten Nachrichten über das Räuberwesen vor. In früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten lebten aber nicht weniger Räuber. Alle Geschichtsbücher berichten davon, dass heruntergekommene Ritter als Bandenführer und Wegelagerer endeten, sie waren die Berufsverbrecher des Mittelalters. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Heer zur Räuberschule. Plündern gehörte zum Handwerk. Söldner in und außer Diensten, Freund oder Feind, sie nahmen sich, was sie brauchten und noch einiges mehr. Der Krieg ernährt den Krieg. Ein Menschenleben kost' nichts. Den Bauern im Spessart wird das über Generationen hinweg auf das Grausamste beigebracht.
Der Dichter und Schriftsteller Hans Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622 bis 17. August 1676) beschrieb 1669 in seinem Hauptwerk »Der Abentheurliche Simplicissmus Teutsch« sehr anschaulich die Verhältnisse seiner Zeit. Die in Ichform erzählte Geschichte eines jugendlichen Abenteurers in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs schlägt den Leser auch heute noch in ihren Bann. Grimmelshausen schrieb: "Als der Mansfelder (Graf Ernst II. von Mansfeld, 1580 bis 29. November 1626, dt. Heerführer aufseiten der Aufständischen in Böhmen) bei Höchst die Schlacht verlor, zerstreute sich sein flüchtig Volk weit und breit herum, weil sie nicht alle wussten, wohin sie sich retirieren sollten; viele kamen in den Spessart, weil sie die Büsche suchten, sich zu verbergen". Ein Zufluchtsort der Verfemten. Es zeigt sich aber, dass der dunkle Spessartwald als Schlupfwinkel der Gesetzlosen und Gejagten keine größere Rolle spielte als etwa der Thüringer oder Pfälzer Wald. Das Volk war arm, jeder neue Krieg machte es ärmer, und die Landsknechte nahmen den Rest.
Über die Straßen der Geschichte wälzte sich ein Elendszug käuflicher Söldner, landlos gewordener Bauern, vertriebener Juden, verhasster Zigeuner, gescheiterter Existenzen. Wer keinem Stand angehörte, war rechtlos und konnte der Kriminalisierung nicht entgehen. Eine Vagabundenordnung aus dem Jahre 1763 richtete sich ziemlich wahllos gegen Bettler, Landstreicher, Vagabunden, Zigeuner, Betteljuden und übriges Diebsgesindel.
Noch vor 150 Jahren musste jeder Heimatlose damit rechnen, aus geringem Anlass arretiert, gezüchtigt, zum Militär gepresst oder auf den Schub gebracht zu werden, das hieß: Abschiebung in die "Heimat"; die Rückkehr war unter Androhung der Arbeitshausstrafe untersagt. So schoben sich die Landesfürsten gegenseitig die Opfer ihrer Politik zu.
Einer der während der letzten großen Räuberjagd von 1811 eingefangenen Gauner, Peter Eichler (alias Hainstadter Peter), machte sich darüber Gedanken. "Was hat das Leben im Freien für mich einen Wert bei den jetzigen strengen Anstalten? - In keinem Ort geduldet, höchstens über Nacht. - Muss täglich wandern, ohne zu wissen, wo ich abends meinen Kopf hinlege. - Habe nichts zum Leben, kein Geld, mich zu kleiden. Muss betteln oder stehlen. - Bin zwar gefesselt und darf nicht umherlaufen - das ist mir gerade recht, ich bin des Laufens müde."
Veit Krämer, der gleichfalls am 31. Juli 1812 in Heidelberg hingerichtet wurde, galt ebenfalls als Haupträuber. Man weiß von ihm, dass er in Romsthal am Fuß des Vogelsberges geboren wurde. Sohn des berüchtigten Straßenräubers Albert Krämer (alias Zunder-Albert), der in Würzburg inhaftiert wurde. Veit war Anfang zwanzig, als er verhaftet wurde. Auf dem Steckbrief stand: "Von proportioniertem Wuchse. Schwarze, kurze, abgeschnittene Haare, hohe Stirne, graue Augen, volles Gesicht mit kleinen Pockennarben". Nie war er irgendwo zu Hause. Seit dem 15. Lebensjahr war er mit dem Vater umhergezogen, hatte gestohlen und auch mal zugeschlagen, war gelaufen und gelaufen. Am 7. September 1810, als der Hölzerlips, der Krämer-Mathes und Johann Adam Wehner (alias Kleiner Johann) ihn für einen Einbruch gewinnen wollten, sagte er achselzuckend nein: Er hatte noch wundgelaufene Füße von der Diebestour der vergangenen Nacht. Die Heidelberger Beamten, die ihn verhörten, hielten ihn für gutmütig und schwach, denn "er kann freundlicher Behandlung nicht widerstehen". Im übrigen war er ein lustiges Haus, der Geständigste von allen, "bloß, um bei sich Ruhe zu haben". Den Unterschied zwischen Recht und Unrecht schien er nicht gekannt zu haben. Unmittelbar vor der Hinrichtung brach er heulend zusammen. Alles, was über die Räuber geschrieben steht, ist von den Vertretern der Anklage verfasst worden - man liest nichts von Menschen, man liest von Lumpen und ihren verwerflichen Taten. Der Heidelberger Stadtdirektor Dr. Pfister, der damals die ganze Soziologie und Psychologie ersetzte, erklärte die menschlichen Zusammenhänge so: "Sie wurden von Gaunern geboren, zu Gaunern erzogen und lebten als. Gauner." Immerhin hatte Veit Krämer seiner Freundin Eva nach jedem gelungenen Raub 20 Kreuzer in die Hand gedrückt, auf dass sie eine Messe lesen lasse.
Eva war die Tochter der Fulder-Lies, und die Fulder-Lies wiederum war die Geliebte seines Vaters, des Zunder-Albert. Eheliche Verbindungen werden in den Akten nicht angezeigt. Eine richtige Räuberfamilie eben. "Beide Weibsleut", so wird vermerkt, "sind lebhafte, stets muntere Geschöpfe, welche als Bänkelsängerinnen die Märkte besuchen und so das zu verdienen streben, was Veit entweder nicht verdienen konnte oder, wenn er es verdient hatte, nicht abgab, weil er es größtenteils zu vertrinken pflegte."
Die Frauen hießen in der Gaunersprache "Kochemer Schicks" und wurden behördlicherseits als Konkubinen geführt. Ihr Los war kaum besser als das ihrer unsteten Freunde, die vor Prügelstrafen und Arbeitshaus zittern mussten und manchmal vorm Schafott. Die Weibsleut waren Packesel für das Raubgut oder Einbruchswerkzeug, Köchin, Kundschafterin, Hehlerin, Komplizin, Liebchen. Dass man ihnen Hurerei vorwarf, ist nicht verwunderlich. Was ihren Einfluss auf die Männer betraff - da tappt man gänzlich im dunkeln. Nur Johann Martin Rupprecht (alias Hessen-Martin) hatte einmal geklagt: "Ich war, als ich noch mein erstes Weibsbild, die Windstrumpfin hatte, zwar auch ein Dieb, aber durch das Porzellan-Hannes Gretchen bin ich ein rechter Spitzbube geworden."
Ohne lange Nachtmärsche war nichts zu machen. Räubern fiel das Geld nicht in den Schoß. So zum Beispiel die Beraubung des Nürnberger Kaufmanns Söltel auf der Spessarter Chaussee (auch Alte Poststraße genannt) bei Rohrbrunn am letzten Septembertag des Jahres 1810. Manne-Friedrich, der Kleine Johann, der Krumme Hanfriedel, der Hessen-Martin und des Porzellan-Hannes Sohn Wilhelm verabredeten sich in der Gegend von Aschaffenburg, um ein Ding zu drehen. So richtig wussten sie noch gar nicht, was für ein Ding. Vor dem nächsten Wirtshaus stand ein Fuhrmannskarren, sie schlichen sich an, schnitten die Plane auf, fanden aber nur Säcke voller Wolle. Da zogen sie weiter. Wieder ein Wirtshaus, wieder ein Karren, diesmal Wachhunde. Der Kleine Johann gab ihnen "Krähenaugen", sie zu vergiften. Nur einer der Hunde starb. In dieser Nacht erreichten sie nichts. Am Morgen kehrten sie wie Biedermänner im Wirtshaus ein und ließen sich von dem erregten Wirt die Geschichte des krepierten Hundes erzählen. “Unerhört“, sagten sie. Als es wieder dunkel geworden war, erreichte die Bande ein Wirtshaus im hohen Spessart, aber auch hier war keine Beute zu machen, kein Fuhrmannskarren stand davor. Müde und missmutig kehrten sie um. Und nun, auf dem Heimweg, hörten sie plötzlich das Geräusch einer Kutsche. Endlich die Gelegenheit! Als die Chaise vorbeifuhr, sprang der Krumme Hanfriedel von hinten auf, um heimlich die Koffer loszuschneiden. Aber die waren mit Ketten befestigt. Nun hatten die Reisenden bemerkt, dass jemand huckepack mitfuhr. Alarm, große Aufregung. In diesem Augenblick tauchte der Kleine Johann auf, der mitgelaufen war, und warf mit einem schweren Stein nach dem Pferd. Das Tier, am Kopf getroffen, brach zusammen. Die übrigen Räuber kamen aus den Büschen hervor und trommelten mit ihren Stöcken auf den Kutschenkasten. “Werft die Chaise um!“ brüllte einer. Der Kaufmann Söltel und seine Begleiter flüchteten. Den Verlust bezifferten sie später auf 1200 Gulden.
Da gab es Zwischenfälle, manche hundsgemein und manche rührend. Auf dem Weg von Obernburg nach Wertheim wurde ein Bote beraubt. Dieser jammerte, “dass er sich nun nicht mal ein Frühstück wird leisten können“. Gnädig gaben die Straßenräuber ihm 12 Kreuzer zurück. Bei Mittelgründ wurde 1809 ein Fuhrmann erschlagen, so erbost waren die Wegelagerer, als sie entdeckten, dass er nichts als Glaswaren geladen hatte. Bei einem Einbruch brachte der Hainstadter Peter aus Versehen seinen Kumpanen um, den Angelthumer Martin, den er in der Dunkelheit nicht gleich erkannte. Der Haupträuber Hölzerlips bekam das Milzstechen, gerade als sie hinter einer französischen Chaise herrannten. Er blieb zurück und immer weiter zurück und Johannes Werner (alias Wuttwuttwutt) musste den Überfall allein beginnen.
Mancher Räubersmann hatte sich lokalen Ruhm erworben, der Hannickel in Schwaben, der Sepp in Bayern, Lips Tullian in Sachsen, der Schinderhannes am Rhein / aus dem Hunsrück. Würde man aber noch lange vom Wurzeljörg (bürgerlicher Name Georg Horn) reden, vom Tauben Johann, vom Krummen Hanfriedel, vom Langen Andres? Im Jahre 1812 hingen überall im Spessart ihre Signalements (Steckbriefe). Der Lange Andres wurde verdächtigt dem Schweizer Kaufmann Jacob Rieder (Raubüberfall vom 1. Mai 1811) die tödlichen Schläge versetzt zu haben. Gefahndet wurde auch nach Anton Keil, der samt seiner Bande vom Gerichtshof des linksrheinischen Donnersberger Departements zum Tode verurteilt worden war, aber entfliehen konnte. Als Verkäufer von Dosen, Schnallen und Spiegeln reiste er nun unter dem Namen Bartkiel Bartsch umher. In demselben Jahr, im Monat Mai, setzte sich ein stattlich gekleideter Mann von 42 Jahren an den reich gedeckten Tisch der Gaststube von. Esselbach, wurde untertänigst bedient, lobte den Wirt Endres und überschritt tatendurstig bei Lengfurt den Main. Er war vielleicht der einzige bedeutende Räuberhauptmann, der im Spessart je gesichtet worden ist. In Russland wurde er vernichtend geschlagen.
Nachfolgend werden einige der bekanntesten Kriminellen aus dem Raum Spessart-Odenwald des 18. und 19. Jahrhunderts kurz vorgestellt. Wie da wären: Johann Adam Grasmann (vulgo Großer Samel), Johann Adam Heusner (vulgo Dicker oder Rother Hann-Adam), Johann Martin Rupprecht (vulgo Hessen-Martin), Johann Georg Tascher, Johann Jakob Erbeldinger, Johann Adam Wehner (vulgo Kleiner Johann), Georg Philipp Lang (vulgo Hölzerlips), Sebastian Lutz (vulgo Basti), Andreas Petry (vulgo Köhlers Andres), Philipp Friedrich Schütz (vulgo Manne-Friedrich) und Michael Borgener.
Johann Adam Grasmann (vulgo Großer Samel)
Grasmann, alias Großer Samel, war ein Anführer bzw. Haupträuber. Er war katholisch und verheiratet. Sein Vater war Viehhirte, Fruchthüter und Tagelöhner gewesen. Eine Schwester Grasmanns war mit dem "Mit-Inquisiten" Heusner, der ebenfalls hingerichtet wurde, verheiratet. Grasmanns Frau war 13 Jahre zuvor gestorben. Grasmann ernährte sich als Korbmacher, Fruchthüter und Viehhirte, zuletzt in der Gemeinde Hetzbach. Grasmann nahm nach eigenem Geständnis an 16 Straßenräubereien und an mehr als hundert Einbrüchen teil.
Johann Adam Heusner (vulgo Dicker oder Rother Hann-Adam)
Der am 14. Mai 1778 in Mümling-Grumbach (Odenwald) als Sohn eines Taglöhners und Hirten ohne festen Wohnsitz geborene Johann Adam Heusner, war bis zu seinem 21. Lebensjahr zeitweise als Knecht unter anderem auch im Spessart tätig. Von seinem Onkel mütterlicherseits, Johann Adam Grasmann wurde er zu ersten Diebstählen verleitet und mit professionellen Gaunern bekannt gemacht. Als Räuber und Dieb betätigte er sich um die Wende 18. zum 19. Jahrhundert in der Bande des Schinderhannes im Rheingebiet und wurde dann unter anderem in badischen, hessischen und kurmainzischen Regionen aktiv. In den dortigen Gaunergesellschaften spielte er eine führende Rolle. 1810 wurde er verhaftet und am 5. November 1814 in Darmstadt enthauptet.
Johann Adam Heusner war einer der rücksichtslosesten der Räuber. Er war verheiratet und Vater eines elf Jahre alten Mädchens. Sein Vater hielt sich ohne festen Wohnsitz als Hirte, Taglöhner und Korbmacher im vorderen Odenwald auf. Heusner hatte noch drei Geschwister. Die Schwester war an einen herumziehenden Krämer verheiratet. Sein Bruder Stephan, alias Langbeiniger Steffen, der an dem Überfall im Ronneburger Wald beteiligt gewesen war, wurde später verhaftet und hat sich im Gefängnis zu Heidelberg erhängt.
Johann Martin Rupprecht (vulgo Hessen-Martin)
Johann Martin Rupprecht, in Räuberkreisen "Hessen-Martin" genannt, stammte aus Eckardroth bei Bad Soden-Salmünster. Sein Vater war ein "herumziehender Zinngießer" gewesen, der, als Johann Martin vier Jahre alt war, die Familie verlassen hatte. Da die Mutter nicht in der Lage war, das Haus zu halten, zog sie mit ihren vier Kindern "auf dem Lande herum, indem sie sich angeblich mit Stricken und anderen Handarbeiten nährte".
Zum Zeitpunkt seines Prozesses in Darmstadt war Martins älterer Bruder Casper in Kassel schon hingerichtet worden. "Der noch lebende Bruder ist Gauner und die Schwester, die Beischläferin von einem Räuber, der in Marburg einsitzt."
Im frühen Alter von 16 Jahren fing Johann Martin Rupprecht einen Handel mit "steinernem Geschirr" an. Ein Jahr später trat er als Soldat in österreichische Dienste, heiratete, desertierte, ließ sich von den Franzosen anwerben und desertierte abermals. Bei Wetzlar traf er sich mit seiner Frau und fing seinen "vorigen Handel mit steinernem Geschirr und dann auch erdenem Geschirr wieder an". Anfänglich trug er seine Waren auf dem Rücken, brachte es nach und nach aber so weit, dass er sich einen Schubkarren und ein Pferd anschaffen konnte." Während dieser Zeit lernte er ein gewisses Gretchen kennen, die seine Geliebte wurde. Eine Zeitlang lebte er mit ihr und seiner Frau zusammen. Später hatte er seine Frau "mit Schlägen fortgetrieben" und einen Kastenkram mit Halstüchern und Kurzwaren eröffnet.
Im Oktober 1809 wurde er bei einem Streifzug zu Hüttengesäß bei Langenselbold als verdächtig festgenommen. Da er bereits steckbrieflich gesucht worden war, wurde er nach Mainz eskortiert, wo er sieben kleinere Diebstähle zugab. Zurückgebracht nach Langenselbold, gelang es ihm am 3. April des Jahres 1810 zu fliehen. "Rupprecht fing das Räuberhandwerk nach erlangter Freiheit sogleich wieder an."
Während seines Prozesses in Darmstadt wurden ihm 11 Straßenräubereien und 14 Diebstähle zur Last gelegt. Hauptanklagepunkt war der Überfall auf die Kutsche im Ronneburger Wald, wo er gemeinsam mit Johann Adam Grasmann, Christian Haag und den Brüdern Heusner den Tod des Fuhrmannes verursacht hatte.
Johann Georg Tascher
Johann Georg Tascher war zur Zeit seines Prozesses 46 Jahre alt. Er war in Steinau im Odenwald geboren als Sohn eines Leinewebermeisters. Tascher hatte sieben Geschwister. Ein Bruder saß ebenfalls im Stockhaus (Name des Gefängnisses) zu Darmstadt. Tascher war verheiratet, hatte sieben Kinder, von denen die Frau drei mit in die Ehe gebracht hatte. Von seinem 14. Lebensjahr arbeitete er bei Bauern. Später wurde er Soldat, desertierte zweimal, heiratete und ließ sich in Steinau nieder, wo er sich als Tagelöhner, Holzmacher und Steinbrecher durchschlug. "Diebstähle indes waren seine Hauptbeschäftigung. Er stand schon lange in der ganzen Gegend des Odenwaldes in üblem Rufe, und war sicherlich einer der gefährlichsten Menschen."
Johann Jakob Erbeldinger
Jakob Erbeldinger war katholisch, verheiratet und Vater von sieben Kindern. Er war in Dudenhofen im Elsaß geboren. Im Odenwald führte er den Namen "Mordbrenner", weil er die "Einwohner gewöhnlich durch die Drohung, dass er ihnen den roten Hahn aufs Dach setzen wolle (Feuer legen)", abzuschrecken versuchte, gegen ihn als Angeber aufzutreten.
"In seiner Jugend wurde er zwar zur Schule und Kirche angehalten, lernte aber nicht so viel, dass er lesen und schreiben konnte. Die Armut seines Vaters zwang ihn schon in früher Jugend, bei einem Bauern Geld zu verdienen." Mit 19 Jahren meldete er sich zum Militär, desertierte nach sechs Jahren und ließ sich in Billings im Odenwald nieder, - "Er schaffte auf Tagelohn und ernährte sich von Birken-Ruthen, die er zum Verkauf herumtrug."
In Billings kam er bald in den Verdacht, an Diebstählen und Straßenräubereien beteiligt gewesen zu sein. Nachgewiesen werden konnte ihm allerdings nichts. Heusner und Grasmann lernte er durch Tascher kennen, der ihn eines Tages aufsuchte und mit zu den "beiden aufs Feld nahm, um von ihnen Kuchen zu kaufen, die sie gestohlen hatten." Im Sommer 1809 verübte er mit dem ebenfalls angeklagten Georo Tascher und zwei weiteren Komplizen mit Namen Sebastian Werner und Lorenz Müller einen Einbruch auf der Hippelsbach im Amte Lichtenberg.
Johann Adam Wehner (vulgo Kleiner Johann)
Johann Adam Wehner, alias Lauk, Treber, Schnallenmacher oder Kleiner Johann, eingestuft als "höchstgefährlicher, weitumherstreifender Räuber". Er wurde um 1775 als unehelicher Sohn in Schwärzelbach bei Hammelburg geboren. Der Vater war Schäfer und somit Angehöriger der Unterschicht. Er verließ die Familie und die Mutter zog mit dem wenige Wochen alten Johann Adam nach Heigenbrücken in den Spessart. Dort versuchte sie, sich und das Kind mit Stricken und andern gröbern weiblichen Arbeiten durchzubringen. Sie heiratete den Heigenbrückener Hirten Gehret Lenz, mit dem sie dann noch zwei weitere Kinder hatte. Nach Lenz´ Tod betrieb die Familie Gänse-, Ziegen- und Schafzucht und arbeitete zusätzlich im Taglohn. Trotz der knappen wirtschaftlichen Verhältnisse erhielt Wehner Schulunterricht und nach eigener Aussage, eine ordentliche Erziehung durch seine Mutter. Später versuchte er, das Einkommen durch Hausieren mit Kurzwaren in der Gegend von Aschaffenburg aufzubessern. Um 1795 zog er mit seiner Beischläferin Maria Magdalena Borgerin ins Hohenlohische, wo er neben seinem Kurzwarenhandel auch Körbe herstellte und Irdenware verkaufte. Mittlerweile zweifacher Familienvater, sah er sich nun bereits gezwungen, gelegentlich mit kleinen Felddiebereien die Versorgung sicherzustellen. Auf seinen ausgedehnten Geschäftsreisen, die ihn auch wieder in die Aschaffenburger Gegend führte, kam er mit umherschweifenden professionellen Kriminellen in Kontakt.
Er war vor allem mit dem etwa drei Jahre jüngeren Erzgauner Johann Adam Heusner immer öfter zusammen. Ein unbedeutender Diebstahl an einem Hausierer im Kahlgrund brachte den verdächtigten Wehner, dessen Tatbeteiligung immer zweifelhaft blieb, 1802 in Aschaffenburger Haft, von wo aus er an das kaiserlich-österreichische Militär abgegeben wurde. Er desertierte noch 1802 im böhmischen Komotau und kehrte in den Spessart zurück, wo er wieder mit Heusner zusammentraf. Sein Krämerkasten und selbst die Zivilmontur waren ihm von den Aschaffenburger Ordnungshüter zur Begleichung der Haftkosten abgenommen worden, so dass er, obrigkeitlicherseits jeder Einkommensquelle beraubt, für die verführerischen Reden des Johann Adam Heusner´s zunehmend empfänglich wurde.
Georg Philipp Lang (vulgo Hölzerlips)
Georg Philipp Lang, alias Hölzerlips, wurde vermutlich Ende der 1770er Jahre in Eckardroth geboren, “der uralten Herberge der Räuber und Gauner“. Seine Eltern waren Vaganten. Damit war auch seine Biographie bereits vorherbestimmt. Er musste früher oder später in Konflikt mit den Behörden geraten. Allerdings war seine “Karriere“ als berüchtigter Räuber einer Odenwald-Spessart-Bande noch nicht abzusehen.
Von seinem Vater bekam er das notwenige Rüstzeug für das Leben auf der Straße. Nachdem er auf eigenen Jaunerfüßen stehen konnte, nahm er sich eine Frau bzw. Beischläferin. Mit ihr hatte er zwei Kinder. Die Existenz einer Familie veranlasste ihn, einem “ehrlichen“ Gewerbe nachzugehen. Er verkaufte Holzwaren, was ihm den Namen Hölzerlips einbrachte. Als wandernder Händler wurde er von einer Streife aufgegriffen und wegen Landstreicherei arretiert. Ohne vorher mit Räubern in Kontakt gewesen zu sein, jedenfalls nach seinen Angaben, vollzog sich im Gefängnis der Wandel zum Gewaltverbrecher. Während dessen ließ sich seine Frau mit einem anderen Gefährten ein und brannte mit diesem durch. Sie gab später zu Protokoll, dass Hölzerlips sie des öfteren misshandelt und sie ihn deshalb verlassen hätte. Hölzerlips nahm sich eine neue Beischläferin und begann seine Laufbahn als Räuber. Die neue Frau Langs wurde in Darmstadt zusammen mit den gemeinsamen beiden Kindern gefangengesetzt, worauf er sich eine weitere nahm.
Bis zu seiner Festnahme 1811 wurden ihm fünfzehn Fälle von Straßenraub und 21 Fälle von Einbruchdiebstahl im südhessischen Raum vorgeworfen. Sein letzter großer Coup war der Überfall in der Nacht zum 1. Mai 1811 auf eine Kutsche an der Bergstraße im Großherzogtum Baden, zwischen Laudenbach und Hemsbach, dem zwei Schweizer Kaufleute zum Opfer fielen. Einer von ihnen starb wenige Tage später an den Folgen seiner sich dabei zugezogenen Verletzungen. Hölzerlips und seine fünf Komplizen flohen in den hessischen Odenwald. Ein Botenjunge, der den Überfall beobachtet hatte, verständigte sofort die Behörden. Diese wurden auch umgehend tätig. Eine groß angelegte überterritoriale Polizeiaktion brachte den Erfolg. Alle sechs Räuber wurden an den verschiedensten Orten in Odenwald und Spessart festgenommen. Hölzerlips ging der Polizei in Gelnhausen ins Netz. Die Spessart-Odenwald-Bande wurde nach Heidelberg überstellt und in einem Aufsehen erregenden Prozess zum Tode verurteilt. Am 31. Juli 1812 wurde Hölzerlips in Heidelberg mit drei weiteren Komplizen, nämlich Manne-Friedrich, Veit Krämer und Krämer-Mathes, durch das Schwert hingerichtet. Die beiden Komplizen, Basti und Köhlers Andres, wurden wegen ihres jugendlichen Alters vom Großherzog Karl von Baden (1786 bis 1818) in letzter Minute am 31. Juli 1812 begnadigt.
Sebastian Lutz (vulgo Basti)
Sebastian Lutz, alias Basti, stammte aus Neckargerach und war das Kind rechtschaffener Leute. Eine vornehme Person wollte ihn ein Handwerk lernen lassen, doch sein Vater verließ damals die Gegend des Odenwald, in der Basti eine Lehre antreten sollte und beharrte darauf, dass er mit ihm ziehen solle. Basti folgte dem Vater, trennte sich aber bald von ihm, trieb sich mit allerlei fahrendem Volk herum und zog später allein als Saitenspieler umher. Durch sein musikalisches Talent freundete sich Basti mit dem Köhlers Andres an, der bekanntlich die Clarinette, Flöte und das Flageolett (eine Art Blockflöte) spielte. Durch Köhlers Andres kam Basti mit der Räuberbande des Hölzerlips in Verbindung. Hölzerlips rühmte ihn einmal mit folgenden Worten: “Basti ist der härteste von uns allen. Wenn der als Räuber bis zu seinem 30sten Jahre fortgelebt hätte, so wäre Schinderhannes nichts gegen ihn gewesen.“ Am 31. Juli 1812 entgingen Basti und sein jugendlicher Komplize Köhlers Andres in letzter Minute ihrer Hinrichtung. Großherzog Karl von Baden (1786 bis 1818) wandelte ihre Todesstrafe in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe um. Vier ihrer ehemaligen Räuberkomplizen (Hölzerlips, Manne-Friedrich, Krämer-Mathes und Veit Krämer) dagegen starben an diesem Tag in Heidelberg unter dem Schwert des Scharfrichters.
Andreas Petry (vulgo Köhlers Andres)
Andreas Petry, alias Köhlers Andres, ist der Sohn des Peter Petry, alias Schwarzer Peter. Er war nicht konfirmiert, doch hatte sein Vater, in musikalischer Hinsicht, mehr für seine Erziehung getan. Er ließ ihn nämlich verschiedene Instrumente lernen. Andreas Petry spielte mit vieler Fertigkeit die Klarinette. Auch die Flöte und das Flageolett spielte er nicht ungeschickt. Diese Kunstfertigkeit sollte dem Andreas Petry zu einem ehrlichen Erwerb helfen. Wie war aber dies möglich, da ihn seine Kunst von Ort zu Ort unter der niedrigsten Volksklasse herumtrieb, ihn immer wieder mit Räubern und Dieben in Berührung brachte, welche er schon von Kindesbeinen an kannte. Seine Kunst ließ ihm manche freie Stunde, ernährte ihn nicht vollkommen und sein eigener Vater nahm ihn schon als Buben auf Straßenräubereien und Diebstähle mit. Er war von lebhaftem, munterem Temperament, besaß aber einen hohen Grad an Verschlossenheit, Verschlagenheit, Falschheit und Rachsucht. Sein Blick war immer unstet, wie der eines Verfolgten, welcher sich ängstlich nach dem Verfolger umschaut. Am 31. Juli 1812 entgingen Andreas Petry und sein jugendlicher Komplize Basti in letzter Minute ihrer Hinrichtung. Großherzog Karl von Baden (1786 bis 1818) wandelte ihre Todesstrafe in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe um. Vier ihrer ehemaligen Räuberkomplizen (Hölzerlips, Manne-Friedrich, Krämer-Mathes und Veit Krämer) dagegen starben an diesem Tag in Heidelberg unter dem Schwert des Scharfrichters.
Philipp Friedrich Schütz (vulgo Manne-Friedrich)
Philipp Friedrich Schütz, alias Manne-Friedrich, wurde über dreißig Jahre alt und wurde in Kopenhagen geboren. Seine Eltern waren in Frügt als Bauersleute wohnhaft und nährten sich dort zwar ärmlich doch ehrlich. Auf Wunsch ihres Grundherrn siedelte die Familie des Manne Friedrich nach Dänemark über. Sie ließen ihr Wohnhäuschen und einige Grundstücke in Frügt zurück. Sie hatten bereits mehrere Jahre in Dänemark gelebt, als der alte Schütz dort starb. Seine Witwe konnte nun allein ihrem Geschäft in Dänemark nicht mehr vorstehen. Sie reiste mit ihren Kindern nach Deutschland zurück. Sie hatte gehofft, ihre verlassene Hütte wieder beziehen, ihre wenigen Felder verpachten und sich mit dieser Beihilfe durch Arbeit fortbringen und ihre Kinder großziehen zu können. Allein ihre Hoffnung hatte sie getäuscht. Das Häuschen war nebst dem übrigen, was sie verlassen hatte, auf Andringen der Gläubiger versteigert worden. Sie wurde nicht länger in Frügt geduldet und sah sich also gezwungen von Ort zu Ort mit ihren armen kleinen Kindern das Brot zum Leben zu suchen. So brachte der lobenswerte Eifer des Grafen von Schimmelpfennig, die Industrie in Dänemark zu fördern, eine redliche deutsche Familie in Armut und Elend und Manne-Friedrich unter die Räuber. Er erlernte auf den immerwährenden Wanderungen, welche er mit seiner Mutter machte, bei einem herumziehenden Korbmacher diesen Beruf. Auch er war dem Branntwein ganz außerordentlich ergeben, doch bei weiten war er nicht so boshaft wie der Hölzerlips. Er war unter allen Halunken der Gebildetste, Manierlichste und Klügste. Am 31. Juli 1812 wurde Manne-Friedrich in Heidelberg mit drei weiteren Komplizen, nämlich Hölzerlips, Veit Krämer und Krämer-Mathes, durch das Schwert hingerichtet. Die beiden Komplizen, Basti und Köhlers Andreas, wurden wegen ihres jugendlichen Alters vom Großherzog Karl von Baden (1786 bis 1818) in letzter Minute am 31. Juli 1812 begnadigt.
Michael Borgener
Michael Borgener wurde als Sohn eines ohne festen Wohnsitz umherstreifenden Bettlers aus Büdingen und seiner Beischläferin zwischen 1777 und 1779 in Flörsbach geboren. Als Korbmacher, Musikant und Keramikhändler zog er gleichfalls unstet umher, ohne sich auf den Spessart zu beschränken. Immer schon hatte er engste Berührung mit dem kriminellen Milieu, so dass der Schritt zum Dieb sehr klein war, zumal seine drei Schwestern intime Beziehungen zu Gaunern pflegten. Er wurde offenbar nur als Dieb aktiv, vornehmlich im Nordspessart. Eine Beteiligung an Räubereien konnten ihm die Kriminalisten nicht nachweisen.
Die folgende Liste enthält Wörter, die aus dem Rotwelschen ins Deutsche übernommen worden sind. Einige von ihnen sind im heutigen Sprachgebrauch mittlerweile ausgestorben oder nur noch regional gebräuchlich.
acheln = essen
Baiz = Wirtshaus, Kneipe [rotw.: Bayes / Bays = Haus / Wirtshaus]
(aus-)baldowern = planen [rotw.: baldovern = auskundschaften]
beducht = still verschwiegen, geheim
blauer Montag = Montag, an dem man nicht zur Arbeit geht [rotw.: blau = nicht, kein]
Bohnen = Bleikugeln, Schrot
doof = dumm [rotw.: dof]
(nicht lange) fackeln = (nicht lange) zögern [rotw.: fackeln = schreiben]
fechten = betteln
Gigs und Gags = alberner Kram [rotw.: Gigges und Gagges]
gucken/kucken = blicken, sehen [rotw.: Gugge = Loch]
Kaff = Dorf [rotw.: Kaphre / Kaffer = Bauer]
kapores = kaputt
kess = frech, gewitzt [rotw.: chess; Chessen = Kochemer]
Kies = Geld
Kittchen = Gefängnis [rotw.: Kitt = Haus]
Knast = Gefängnis [rotw.: Knass = Strafe]
(jemanden) verkohlen = (jemanden)anlügen [rotw.: kohlen = erzählen]
lau = wenig, minder, umsonst [lau/lo = nichts, kein]
link = falsch
lugen = ausschauen, spähen [rotw.: lugen = hören]
Macke = Tick, Fehler, Laune [rotw.: Makkes = Schläge]
malochen = arbeiten [rotw.: malochnen = machen, rauben]
Mäuse, Moos = Geld [rotw.: Moës]
Ölgötze = steifer Mensch [rotw.: Ölgötze = Oberrat]
Pinke(-pinke) = Geld
Pleite = Bankrott, erfolgloses Unternehmen [rotw.: Pleite = Flucht]
unter aller Sau! = unter aller Kritik!
Schickse = leichtes Mädchen, Konkubine [rotw.: Schikse, Schiksgen,
Schiksel = Mädchen]
Schlamassel = Unglück, Unannehmlichkeit
Schmier(e) stehen = Wache
schwächen = trinken, saufen
stromern = herumziehen [rotw.: Strohmer = Vagant]
verschütt gehen = verschwinden [rotw.: verschütten = verhaften]
Das „Rotwelsch“ oder “Jenisch“, auch “kochemer Loschen" oder “Plattenkohl" genannt, der seit dem 14. Jahrhundert nachweisbaren Sprache deutscher Nichtsesshafter, beherrschten fast alle auf der Straße Lebenden neben der normalen Verkehrssprache. Das Rotwelsch wurde jedoch vornehmlich in den Kreisen der Gauner und betrügerischen Bettler entwickelt und gepflegt. Auch den sesshaften Kriminellen, Diebswirten, Baldowern und Hehlern war es geläufig. Gemeinsam mit den umherschweifenden Betrügern, Dieben und Räubern bildeten sie das Milieu der “Kochemer" - so die jenische Selbstbezeichnung der Eingeweihten.
Deutsch und Hebräisch-Aramäisch waren die Grundlage dieser regional leicht unterschiedlich gefärbten Sprache. Hinzu kamen Romani (“Zigeunerisch“), Niederländisch, Französisch, Spanisch und Latein in jeweils kleinen Anteilen - einige Ausdrücke sind jedoch in ihrem Ursprung völlig ungeklärt.
Vor allem hebräisch-aramäischer Wortbestand, auf die Landstraße gebracht durch fahrende Schüler und Gelehrte sowie die zahlreichen Schnurrjuden und ihre “judenteutsche" bzw. jiddische Volkssprache, bot sich zum Heranziehen fürs Rotwelsch an. Er war den meist christlichen etablierten Sesshaften von vornherein gänzlich unverständlich. Besonders verstärkt durch die - oft groteske - Verkehrung seiner ursprünglichen Inhalte wurde er auch gegenüber den nicht ins Milieu eingeweihten rechtschaffenen Juden zum Geheimjargon gemacht. Mysteriöses war gewollt. Seltsam und unheimlich erscheinend, sollte das Rotwelsch den Außenstehenden beeindrucken. Auch sollte es die diskriminierten Nichtsesshaften gegen die Etablierten und ihre Repressionsorgane abschotten und die Verabredung illegaler Projekte selbst in der Öffentlichkeit ermöglichen.
Im Rotwelsch spiegelt sich Sozialgeschichte. Die Rückwanderung aus dem östlichen Europa seit dem 17. Jahrhundert drängte immer mehr Juden ins Vagantentum und aus Not teilweise ins Gaunermilieu, wo sie bald organisatorisch und technisch eine Avantgardefunktion übernahmen. Obwohl sie zahlenmäßig, betrachtet man den Anteil aller Juden an der Gesamtbevölkerung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, im Wirkungskreis der Gauner weit unterrepräsentiert blieben. Bis zum Ende seiner Entwicklung um 1800 reicherte sich das Rotwelsch verstärkt mit hebräisch-aramäischen Wörtern an, hauptsächlich Spezialausdrücken fürs gaunerische Handwerk. Jenisch sprechende Christen wurden daher von unkundigen Polizeimännern bisweilen für “Israeliten" gehalten - unter Umständen ein willkommener Nebeneffekt zur Tarnung.
Die eigene Sprache Rotwelsch war nicht nur Reaktion auf die Ausgrenzung einer verhältnismäßig breiten Bevölkerungsschicht (ca. 10% bis 15% der Gesamtbevölkerung) aus der rechtschaffenen Gesellschaft, sie stiftete auch, gerade als Geheimsprache, aktiv Identität unter den Mitwissenden und diente somit zur Abschottung aber auch zur Tarnung und Täuschung. Das Rotwelsch war den Gaunern Mittel der Offensive, gewendet gegen die Gesellschaft der "Wittischen", das heißt der "Dummköpfe", "Tölpel", "Trottel", also der Rechtschaffenen und Gesetzestreuen. Mit ihnen wollten die Kochemer ("kochem" heißt wörtlich "klug" oder "gewitzt") so wenig als möglich gemein haben. Im kulturellen Überbau entwickelte man besondere Normen und Werte und sang seine eigenen Lieder: Die kocheme Welt trug Züge einer "Gegengesellschaft".
Der vielseitige Erzähler und Dichter Wilhelm Hauff wurde am 29. November 1802 in Stuttgart geboren. Er entstammte einer Beamtenfamilie. Er studierte zunächst Theologie und Philosophie in Tübingen, arbeitete dann als Hauslehrer und schließlich als Redakteur von Cottas Morgenblatt. Seinen größten literarischen Erfolg erzielte Hauff mit dem Buch Lichtenstein (1826), mit dem er den historischen Roman in Deutschland begründete. Wirklich bekannt aber wurde er durch seine Märchen, die in drei Almanachen 1826, 1827 und 1828 erschienen, und durch seine Lieder, die sich zu Volksliedern entwickelten. In seinen Erzählungen verbindet Hauff romantisch-phantastische Elemente mit realistischen und zeitkritischen sowie satirischen Zügen. Es ging ihm allerdings nicht nur darum, seine Zeit kritisch zu beleuchten, sondern er wollte seine Leser auch unterhalten. Der Dichter starb - erst 24jährig - am 18. November 1827 in seiner Heimatstadt.
* 1826 Lichtenstein (Roman)
* 1826 Der Mann im Mond (Roman)
* 1826 Mitteilungen aus den Memoiren des Satans (Erzählung)
* 1827 Phantasien im Bremer Ratskeller (Erzählung)
* 1828 Novellen
* Der junge Engländer (aus 1827er Almanach)
* Der Reußenstein (Märchen)
* Das Wirtshaus im Spessart (aus 1828 er Almanach)
* Märchen-Almanach auf das Jahr 1826
* Märchen-Almanach auf das Jahr 1827
* Märchen-Almanach auf das Jahr 1828
* Othello (Novelle)
* Gedichte
Wilhelm Hauff verfasste 1826 »Das Wirtshaus im Spessart«. Durch dieses Erzählwerk wurde die Vorstellung vom »Räuberwald Spessart« unvergänglich. Hauff (ver)-dichtete die um 1800 in der Literatur aktuell gewordene Räuberthematik nochmals neu. Erinnert sei nur an Schillers »Die Räuber« (1781) und an Vulpius' »Rinaldo Rinaldini« (1798). Hauff nahm aus der zu seiner Zeit niedergehenden Romantik Anregungen auf, ein Romantiker war er schon nicht mehr.
Wilhelm Hauff und sein »Wirtshaus im Spessart« werden vorwiegend unter dem einschränkenden Gesichtspunkt betrachtet, ob der Dichter wohl im Spessart war und ob es ein Gebäude gab, das dem »Wirtshaus« als Vorbild gedient habe. Man sieht heute ein solches Vorbild, wenn es denn überhaupt eines gab, im Gebäude der früheren Hessenthaler Posthalterei und der heutigen Gastwirtschaft “Zur Post“ in Hessenthal (heute Ortsteil von Mespelbrunn).
Große Bildungsreise
Wilhelm Hauff schied Ende April 1826 aus seiner Stellung bei der Familie Hügel aus. Am 1. Mai startete er eine längere Reise. Dieser Schritt war für Hauff auch der endgültige Abschied von der Möglichkeit des einigermaßen gesicherten Broterwerbs im staatlichen oder kirchlichen Dienst. Für ihn begann in der ihm noch verbleibenden Lebenszeit das mehr oder minder freie Dasein eines Schriftstellers und Journalisten. Hauff wusste vom Spessart durch seine literarischen Zeitgenossen. Die Romantiker weilten auf Hof Trages bei Gelnhausen und entdeckten im Spessart den märchengrün durchfunkelten Wundergarten. Aus eigener Anschauung kannte Hauff den Spessart nicht oder nur von der Durchreise mit der Postkutsche. Anfang Mai 1826 verabschiedete er sich von seiner Braut in Nördlingen. Anschließend nahm er die Postkutsche nach Frankfurt am Main. Er könnte in der ersten Maihälfte des Jahres 1826 durch den Spessart gekommen sein. In Frankfurt hielt er sich über die Pfingsttage (14. bis 16. Mai) auf.
Rast in Hessenthal?
Zu dieser Zeit wurden seit 1820 in Rohrbrunn keine Postdienste mehr verrichtet, dafür gab es in Hessenthal eine verhältnismäßig neue Posthalterei mit einer Gastwirtschaft. Hauff dürfte daher durch Hessenthal gekommen sein, dort könnte man einen Halt zum Pferdewechsel oder eine Rast eingelegt haben.
Ein Anhaltspunkt dafür, dass dem Dichter die Hessenthaler Posthalterei vor Augen gestanden haben könnte, ist die Form das Gebäudes. Das im »Wirtshaus im Spessart« beschriebene war auch ein “langes, aber sehr niedriges Haus, ein Karren stand davor und nebenan im Stall hörte man Pferde wiehern“. Nach Hauff sei der Mann des Anwesens “selten zu Hause“ und “er treibe Weinhandel“.
Hauff übernahm die Eindrücke aus der Realität verhältnismäßig direkt in die Dichtung. In Hessenthal könnte er zu seiner Erzählung angeregt worden sein. Der Spessart war reich an Geschichten um Fuhrknechte und Postreiter, Wegelagerer und Räuber, bedrohte Postkutschen und einsame Wirtshäuser. Zudem trieben bis 1811 im Spessart tatsächlich Räuber ihr Unwesen. Erzählungen darüber waren sicher auch noch 1826 zu hören. Womöglich machte er sich bereits auf der Weiterfahrt nach Frankfurt erste Notizen. Jedenfalls dichtete er alten Erzählstoff neu und schuf das bekannteste Spessartmärchen.
1826 geschrieben
Falls alles doch nicht authentisch war, so musste es Hauff um so besser verstanden haben, Gehörtes geschickt zu verarbeiten. Das Talent dazu hatte er.
Hauffs Bildungsreise führte weiter durch Frankreich, Flandern, Nord- und Mitteldeutschland, die letzten Stationen waren Leipzig und Dresden. Die große Fahrt dauerte insgesamt sieben Monate. Am 17. November war er wieder in Nördlingen. Dass Hauff auf der Heimreise durch den Spessart kam, erscheint sehr unwahrscheinlich. Am ersten Dezember war er wieder in Stuttgart, noch im gleichen Monat hat er »Das Wirtshaus im Spessart« fertiggestellt.
Hauff schuf in seinem kurzen Leben ein umfangreiches Erzählwerk. Dem Lesepublikum trat ein frühvollendeter Literat mit unruhigem Temperament entgegen. Hauff war Erzähler und Lyriker, er hinterließ Romane und Novellen, Zeitsatiren und die Märchen.
Sein Ziel war es, eine weltmännischelegante Literatur zu schaffen. Er wurde populär und hatte anhaltenden Erfolg. Hauff rückte in den Rang eines “Klassikers“ ein, er blieb ein Lieblingsdichter der Deutschen. Als Unterhaltungsschriftsteller wollte er die Welt aufheitern. Dies entsprach dem allgemeinen restaurativen Entspannungsbedürfnis nach den Jahren der Französischen Revolution (1789) und der Napoleonischen Kriege (1796 bis 1815). Hauff war ein typischer Schriftsteller der frühen Restaurationsepoche.
Hauff wollte dem Märchen als Lektüre für jung und alt wieder Geltung verschaffen. Anvisiert hatte er die 12- bis 15jährigen und deren Eltern als Käufer und Mitleser.
Hauff wählte Inhalte und Formen seines Erzählens stets im Hinblick auf den möglichen Verkaufserfolg aus. Er meisterte den Balanceakt zwischen literarischen Qualitätsansprüchen und dem Sinn für das geschäftlich Opportune. Seine Arbeitsweise trug Züge literarischer Marktproduktion. Auch die Publikationsform des Almanachs, die elegante Aufmachung und Illustration der Bände sollten verkaufsfördernd wirken.
Über den Standort von Hauff’s Wirtshaus wurde lange gerätselt. Was weiß man eigentlich über den literaturgeschichtlichen Standort von Hauffs »Wirtshaus«-Erzählung ?
Um die Geschichte des Wirtshaus im Spessart zu erklären, muss man in das Jahr 1615 zurückgehen. Damals richtete Lamoral I. Freiherr von Taxis (1557 bis 1624), seit 1611 Reichsgeneraloberpostmeister, eine Postroute von Brüssel über Würzburg nach Prag ein. Für die Spessartdurchquerung benutzte er eine bereits vorhandene alte Straße, die bald den Namen Poststraße bekam. Diese Poststraße führte damals über Aschaffenburg – Bessenbach – Rohrbrunn – nach Esselbach und weiter nach Würzburg und Nürnberg. Posthaltereien befanden sich damals unter anderem in Straßbessenbach und Rohrbrunn. Der kurmainzische Oberjäger Uzuber hatte 1688 die Post- und Zollrechte erhalten und eröffnete in Rohrbrunn eine Posthalterei mit angegliederter Wirtschaft. Die Rohrbrunner Posthalterei war mit einem Eichenbalkenzaun gegen Räuber gesichert.
Zwischen 1780 und 1790 wurde die (Alte) Poststraße ausgebaut. Die neue Trasse, ab jetzt auch Spessarter Chaussee genannt, verlief nun direkt oberhalb des bis dato abseits der Route gelegenen Ortes Hessenthal (heute Ortsteil von Mespelbrunn). Da auf der neuen Poststraße die Postkutschen besser vorwärts kamen, wurde die Posthalterei in Straßbessenbach überflüssig, stattdessen sollte etwas weiter von Aschaffenburg entfernt, eine weitere Posthalterei errichtet werden.
Im Jahr 1813 entschloss sich der Gastwirt Franz Scherf aus Bessenbach in Hessenthal eine Posthalterei zu errichten. So wie er den Bau ausführen ließ, entspricht es genau der Beschreibung, die Hauff in seinem »Das Wirtshaus im Spessart« verwendete. Ein “langes, aber sehr niedriges Haus, ein Karren stand davor und nebenan im Stall hörte man Pferde wiehern“. Natürlich hatte Scherf der Posthalterei auch eine Wirtschaft angegliedert. Sie nannte sich "Fürstentum Aschaffenburg", wurde aber bald nur noch die "Post" genannt, so wie sie heute noch heißt.
Lange glaubte man, dass das richtige Wirtshaus im Spessart in Rohrbrunn gestanden habe. Tatsächlich war die Posthalterei Rohrbrunn schon 1820, also sechs Jahre vor Hauff’s Bildungsreise, aufgehoben worden. Die Postkutschen hielten nicht mehr in Rohrbrunn und Hauff - sofern er durch den Spessart reiste - wird auf seiner Reise diesen einsamen Ort gar nicht bemerkt haben. Dass sich in Rohrbrunn das befindliche Gasthaus ab 1930 "Wirtshaus im Spessart“ nannte, kann man nur als guten "Werbegag" bezeichnen.
Als Hauff sich 1826 auf Reisen befand, war die Spessartroute eine der berühmtesten und bedeutendsten Poststraßen in Deutschland und die postalische Organisation erforderte in der Posthalterei Hessenthal auch einen Aufenthalt. Dort in der Gastwirtschaft wird Wilhelm Hauff, falls er durch den Spessart kam, vielleicht die Geschichten um Fuhrknechte und Postreiter, Wegelagerer und Räuber, bedrohte Postkutschen und einsame Wirtshäuser gehört haben.
Es ist also durchaus realistisch das "Gasthaus zur Post" in Hessenthal als das richtige "Wirtshaus im Spessart“ zu bezeichnen.